Der Sound der Persönlichkeit

Das Saxofon ist das stimmungsführende Instrument der Moderne des Jazz

Charlie Parker ist schuld. Oder doch eher John Coltrane? Beide, vielleicht? Fakt ist: beide haben die Sprache des Jazz verändert, haben seine harmonischen Grundlagen neu definiert, die Melodieführung umgekrempelt, sie haben neue Wege der Phrasierung und der Artikulation entwickelt und Scharen von beseelten Jüngern und Nachahmern herangezogen. Beide waren, was das Musikantische angeht, die Spieltechnik angeht, ihrer Zeit wiederum so weit voraus, dass, wer ihnen nahe kommen wollte, gezwungen war unablässig zu üben, sich zu hinterfragen und weiter zu üben. Fakt ist auch: das Saxofon ist das Leitinstrument des modernen Jazz, der Maßstab, an dem sich Leidenschaft und Ausdrucksstärke von Musikern messen, gleichzeitig durchsetzungsstark und fragil und – wenn man sich die ganze Saxofonfamilie vom kleinen, ungebogenen Sopranino bis zum raumfüllend verschlungenen Subkontrabasssaxofon vor Augen führt – sehr verschieden. Und: das Saxofon ist so ungeheuer erotisch. Woran das liegt? Keine Ahnung. Vielleicht ist es sein Schrei, vielleicht auch das Säuseln, die Nähe zur menschlichen Stimme. Vielleicht ist es auch nur der Glanz seiner Oberfläche, der so gut zu den Anzügen passt und Glamour ausstrahlt oder das Bändchen, dass man lässig um den Hals baumeln lassen kann. Fakt ist schließlich: das war nicht immer so, in früheren Epochen des Jazz waren es andere Instrumente, die den Ton angaben, die Trompete zunächst, der im Straßeneinsatz so keiner die Führung streitig machen konnte, das Klavier hier und dort, das so schön mit sich allein genug haben konnte und alle Rollen einer Band auf seine Tasten verteilen konnte. Oder die Bigband, das Orchester oder noch einmal das Klavier, das eben die verschiedenen Rollen im Orchester gleich auf die eigenen Tasten verteilte. Aber das Saxofon, dieser Mischling von einem Instrument, nicht Klarinette, nicht Trompete, nicht Blech, nicht Holz und beides zugleich, Promenadenmischung im besten Sinne, erfunden einst, um die Beweglichkeit der Klarinette für den Marscheinsatz in Armeekapellen nutzbar zu machen?

 

Das Saxofon ist auch das Zentrum des INNTOENE-Festivals in diesem Jahr, das heuer zum 30. Mal auf dem Buchmannhof im Innviertel stattfindet. Dafür steht schon die Begegnung des Weilheimer Saxofon Colossus Johannes Enders mit Walt Weiskopf, einem Geheimtipp unter den Saxofonisten der US-Szene, die in einem Konzert die ganze Fülle der Funken ausloten, die zwei mit Herz und Inbrunst gespielte Tenorsaxofonen zu schlagen vermögen. Doch auch im weiteren Programm hat Paul Zauner als (unter anderem) künstlerischer Leiter des Festivals einen Strauß von Saxofonisten gebunden, deren Musik den Stellenwert des Saxofon im aktuellen Jazz umreisst und unterstreicht. Dabei reicht die Palette von der raffinierten Eleganz eines Lennie Popkin, eines Musikers aus dem Umfeld von Lennie Tristano, der mit seinem leichtfüßigen Ton auf dem Tenorsaxofon die subtil gesetzten harmonischen Nuancen der Musik seines einstigen Lehrmeisters hervor kitzelt und mit Wärme anreichert, bis zu dem Altsaxofonisten Bobby Watson, der sich an einem anderen stilistischen Pol zu Hause fühlt und bei aller Weltläufigkeit seines Spiels immer wieder deutlich macht, wie sehr ihn der erdige, mit einer satten Prise Blues angereicherte Swing seiner Heimat Kansas City und die Botschaft von Curtis Fuller oder Art Blakey, seiner ersten wichtigen Bandleader, geprägt haben. Im Mittelfeld, dort wo sich Popkin und Watson treffen, könnten sich auch David Murray und Steve Grossman wohl fühlen: Grossman ist ein vielseitiger Altmeister des Genres,  dessen Blues getränktes Spiel in der Miles Davis Band der 70er-Jahre einen beträchtlichen Anteil daran hatte, die Schnittmenge zwischen Improvisation und Groove auszuloten. Und David Murray schließlich, der gleich an zwei Abenden mit jeweils zwei Sets in der herausfordernden Interaktion seines aktuellen Trios zu erleben ist, zählt seit langem zu den Hütern der Flamme, diesen besonderen unter den exzellenten Musikern, die jede Phrase, die sie spielen, zu einem Hochamt der Intensität machen.

Und diese Intensität, nicht die Nähe zu irgendwelchen großen Vorbildern und ihrer Kunst, ist es, um die es schließlich geht. Mit seiner Wandlungsfähigkeit und seiner enormen Dynamik nähert sich das Saxofon der menschlichen Stimme und vermittelt wie diese den Eindruck, die Persönlichkeit und Gefühlslage desjenigen, dessen instrumentale Stimme es gerade ist, ganz direkt, unter weitgehender Ausschaltung des Verstandes und anderer Filter zum Ausdruck zu verhelfen.

Stefan Hentz