Ein bisschen kam man sich vor wie damals. Denn das Inntöne-Festival ist ein Soziotop des friedlich-rustikalen Kunstgenusses, weitab von den Konkurrenzzwängen großer Massenveranstaltungen wie in Montreux oder Rotterdam. Hier ist man Mensch und darf es sein, sowohl als Künstler wie auch als Zuhörer. „Diese Atmosphäre ist mir sehr wichtig", meint Festivalgründer und künstlerischer Leiter Paul Zauner. „Und da gehört das Team in der Küche genauso dazu wie die Musiker oder auch die vielen Kinder, die herumsausen. Das ist überhaupt das höchste Gut, das wir haben, die Kinder, die Spaß an so einem Festival haben".
Das klingt idealistisch, war aber von Anfang an Teil des Konzepts. Denn das Inntöne Festival, für das Paul Zauner einmal im Jahr den Bauernhof seiner Familie ausräumt und präpariert, hat sich von einem Insidertreffen mit ein paar Handvoll Eingeweihten im österreichischen Hinterland nahe Passau über mehr als ein Vierteljahrhundert hinweg zu einem Pflichttermin für alle Musikenthusiasten von Berlin bis Wien entwickelt, die anderes suchen als das Programm der Tourneekarawanen. Aus den 50 Hanseln sind daher 5000 geworden, die über Pfingsten hinweg nach Diersbach pilgern, mit Zelten und Wohnmobilen, mit dem Rad oder auch als Pendler zu den nahe gelegenen Landgasthöfen.
Für Paul Zauner ist es dabei eine Herausforderung, jedes Jahr etwas Neues zu finden, was auch die Spezialisten im Stadl überrascht. Bei der 26. Runde der Inntöne am vergangenen Wochenende waren im Unterschied zu früheren Ausgaben kaum große Namen dabei. Man kannte vorher womöglich Aki Takase und Kirk Lightsey, Klaus Dickbauer und Herbert Loos, das Trio Bleu oder auch John Abercrombie. Der war aber beispielsweise nur als Gast des sensationellen ägyptisch-australischen Oud-Derwisches Joseph Tawaros zu Gast und kämpfte sich zur Eröffnung wacker durch die post-orientalische Klangwelt. Überhaupt gab es viele Bands zu erleben, die am Rande der üblichen Jazzvorstellung musizierten. So brachte das spanische Projecto Miño des Bassisten Baldo Matinez einen Hauch von Keltisch-Galizischem mit Improvisation zusammen. Dessen Landsmann Xavier Diaz Latorre fusionierte barocke Gitarrenklänge mit der dezenten Perkussion von Pedro Estevan und das Ensemble Ars Antiqua Austria wagte gleich ganz den Ausflug in die Renaissance.
Furios wiederum waren die Tonausbrüche der Lauten- und Zither-Spielerin Xiu Feng Xia, die Aki Takase im Duo ordentlich Dampf machte, und Werner Puntigams Posaunen- und Muschel-Exkursionen in afrikanische Ambient-Räume im Gespann mit dem Perkussionisten Matchume Zango boten einen ungewöhnlichen Blick auf den Sound aus Mozambique. Sicher gab es auch klassisch Jazziges etwa mit der Sängerin Melba Joyce oder den Saxofonisten Carlos Garnett, Azar Lawrence, Eric Seva oder Larry Smith. Aber das war eben nur eine Farbe des Musikkosmos, der auf dem Bauernhof bei Diersbach Platz hat. Denn im Kern geht es um die Vielfalt der Perspektiven, um Toleranz und das bisschen Rest-Freak-Potential in den Köpfen der Musiker und Zuhörer, das aus den Inntönen ein besonderes Festival werden lässt.
Ralf Dombrowski, 13.6.2011
Artikel auch online unter:
http://ralfdombrowski.de/texte/