Immer wieder unglaublich

Sanfter Anfang, stilsprengender Höhepunkt, wilde Improvisation: 26. Inntöne-Festival auf Buchmannhof in Diersbach in Oberösterreich

Eigentlich ist Freitag, der erste Tag des Inntöne-Jazzfestivals, der kürzeste, mit „nur“ vier, fünf Konzerten an einem Abend – doch dieses Jahr will einfach keine Gruppe wieder runter von Bühne. Der letzte Gig beginnt deshalb relativ spät, nach eins in der Nacht, als man aus dem ehemaligen Saustall – jetzt: „Saint Pigs Pub“ – von nebenan schon die After Hour mit dem dreiköpfigen Paul Kogut Ensemble herüberhört. Kann sich um diese Zeit Davell Crawford, „Prince of New Orleans“, in der Riesenscheune am Flügel ganz allein überhaupt noch behaupten? Unmittelbar vor ihm ist zu allem Überfluss noch das Carlos Garnett Quartett wie ein geölter Blitz in die Scheuer gefahren, „Burn The Barn Down“ ist schließlich die Devise des 72-jährigen Tenorsaxofonisten aus Panama, der in den 1970ern mit Miles Davis und Charles Mingus gespielt hat.

Innerhalb weniger Stunden „eingegroovt“

Er ist mittlerweile vielleicht weniger bekannt, sein Instrument aber bläst er deshalb kein bisschen weniger intensiv. Ungeachtet seines Alters agiert er schnell, boppig und scherzt – der Song „Catch Me If You Can“ ist ein Renner, seine Mitmusiker können ihm hier in jeder Hinsicht das Wasser reichen. Aus einer überschäumd guten Laune heraus singt er das letzte Lied gleich direkt, scattet es rhythmisch ins Mikro und landet schließlich bei einer Melodie, die wie eine Parodie auf „We’re The Flintstones“ klingt. Yeah! Nach einem vergleichsweise sanften Anfang – das Joseph Tawandros Quartet mit einem zurückhaltenden John Abercrombie und die sechsköpfige Ars Antiqua Austria – haben sich die Inntöne so innerhalb weniger Stunden „eingegroovt“.

 

Frank Müller***Vital und vielfältig, traditionsbewusst und stilsprengend, zutiefst harmonisch und höchst polarisierend: Am Festival-Samstag wird der Stadl zum klingenden Kaleidoskop, das die Farben, Formen und Strömungen des Jazz von damals, heute und morgen ständig neu zusammenrüttelt. So entstehen eins ums andere strahlkräftige Klangbilder: Mal aufregend schräg und verstörend grenzfrei wie der modulare Orchesterjazz von Studio DAN; mal klar gebaut und lässig koloriert wie der raumgreifende Session-Sound von Joos/Schabata/Salesny/Preuschl, mal flächig, sonnig und satt wie die A-Capella-Kunst von Aba Taano.

Und dann gibt es jene dicken, geschliffenen Glassteine, die einfach zu groß sind fürs Kaleidoskop. Riesige, glitzernde Augenblicke, in denen alles stehen bleibt und der Jazz so nahe kommt, dass man nicht länger betrachtet, sondern erkennt, nicht länger hört, sondern empfindet: Danke an Melba Joyce für überwältigende Stimmkultur und tränenfeuchte Andacht bis unters Dach, für ein „Round Midnight“ zum Dahinschmelzen und die Gewissheit, dass es Jazz gibt, dessen ursprüngliche Schönheit alles überdauert. Danke an Baldo Martinez und sein exzellentes Projecto Miño für den Beweis, dass Kontrabässe singen und Drehleiern rocken können.

 Danke ganz besonders an das Azar Lawrence Quartet für eine unvergessliche Lehrstunde im Fach Respekt: Selten erlebt man unter Virtuosen ein so achtsames, wertschätzendes Zuspiel. Danke für berauschend ausladende Soli und ein bestechend einladendes Lächeln. Und für inbrünstigen, geerdeten Jazz, der selbst im vertracktesten Höhenflug nur eine Richtung kennt: Die von Mensch zu Mensch. Katrina Jordan

***Schier unglaublich findet der US-amerikanische Saxofonist Larry Smith den Festivalort. So ist es wohl zu erklären, dass er Sonntag Nacht zum letzten bestuhlten Konzert regelrecht berauscht ist von der Atmosphäre und nicht mehr ganz Herr seines Quartetts. Doch seine Mitspieler, voran der Pianist Kirk Lightsey, holen die Eisen mit Bravour aus dem Feuer. Unglaublich ist es tatsächlich jedes Jahr auf Neue, welch unterschiedliche Musik Paul Zauner zu den Inntönen vereint. Jazzy bis funkig startet Klaus Dickbauer mit seinem Trio in den dritten Tag. Mit viel Tempo jammen die Österreicher das Publikum in Fahrt, bevor es sich bereitwillig auf ganz sanfte Töne zweier spanischer Musiker einlässt. Frühe Gitarrenkompositionen aus dem 17. Jahrhundert interpretiert Xavier Diaz Latorre ungemein rein und virtuos. Pedro Estevan streichelt dazu seine Trommel mehr, als dass er sie schlägt, lässt es aus ihrem Fell säuseln und flüstern.

Zwei Asiatinnen mit„chinesischem Blues“

Dann reißen zwei Asiatinnen das Ruder um in die unberechenbaren Bahnen freier Improvisation. „Schau mer mal, was passiert“, meint die in Köln lebende Xiu Feng Xia spitzbübisch. Ungeheuerliches passiert. Die Chinesin verwandelt sich unterm Spiel auf einem langhalsigem Lauteninstrument selbst in ein Instrument, beginnt lautmalerisch zu singen, stößt wilde Schreie aus zu ihrem „chinesischen Blues“. Erstmals improvisiert sie mit der Ausnahme-Pianistin Aki Takase. Der wildeste Auftritt des diesjährigen Festivals.

  Nach hochenergetischem, französischem Jazz vom Quartet um den Saxofonisten Eric Seva darf sich das Publikum wieder zurücklehnen zur atmosphärischen „Inntöne-Suite“ des Trios BLEU. Die Lokalmatadore um Trompeter Lorenz Raab zaubern mit elektronischer Verfremdung Klänge wie aus dem Weltall mit Blick auf den blauen Planeten, obwohl die blaue Stunde noch fern ist. Noch liegen der Kehraus und eine Nacht im „Saint Pigs Pub“, dem alten Saustall am Buchmannhof, dazwischen.

Gabriele Blachnik

Artikel auch online unter:
http://www.pnp.de/nachrichten/heute_in_ihrer_tageszeitung/kultur/147085_Immer-wieder-unglaublich.html