Sun Ra Arkestra: Chaos, Swing und süße Melodie

Das Space-Jazz-Ensemble begeisterte beim 29. Festival „Inntöne“.

Kurz nach 22 Uhr begann das Getuschel. Die wilden Gestalten in der Froschauer Scheune, wo Paul Zauners Jazzfestival stattfindet, wurden sentimental und erzählten einander, wo und wann sie den mysteriösen Sun Ra schon gesehen hatten. Das waren schließlich keine bloßen Konzerte, sondern exzentrische Ereignisse: Der als Herman Blount in Alabama geborene Pianist, Poet und Philosoph strebte zum Saturn. Vehikel dafür war sein Musikerkollektiv, das Arkestra. Mit ihm erfand er den Space-Jazz, auch Cosmic Jazz genannt. 1993 schied er 89-jährig aus dieser Welt. Saxofonist Marshall Allen trägt seither die Fackel weiter. Das hält offenbar jung. Seine 90 Jahre sieht man ihm nicht an. Gelassen navigierte er das Großensemble durch ein aufgepeitschtes Meer an heterogenen Sounds. Chaos und süße Melodie waren hier kein Widerspruch; friedlich flammten Free-Jazz-Anarchie und Autofahrer-Unterwegsswing, Doo-Wop-Ekstase und Gospel nebeneinander auf.

„Space Is the Place“

In schillernde Gewänder gehüllt, spielten sich die 14 Musiker in lustvoller Anarchie durch Duke-Ellington-Standards und Sun-Ra-Klassiker. Allen selbst brillierte auf Saxofon, Flöte und dem EVI, einem elektronischen Blasinstrument, das wie eine Mischung aus UFO und Zahnarztbohrer klingt. Während er das Arkestra in eine Richtung dirigierte, bugsierte Saxofonist und Tänzer Knoel Scott Teile davon in ganz andere Fahrwasser: ein lehrreiches Bild menschlicher Gemeinschaften, die ja stets zwischen schmerzhafter Kakofonie und kurzen Momenten der Harmonie wandeln. Ganz zum Schluss gab man das erhabene „Space Is the Place“, ein Fanal, das uns Menschen die Hybris austreiben soll. Getrieben von knackigem Groove, verließen die Bläser die Bühne und tanzten, blökende und schnarrende Laute absondernd, eine Polonaise im Publikum.

Dieses beglückende Spektakel ließ das Highlight des Nachmittags nicht ganz vergessen: Der blinde Gitarrist und Sänger Raoul Midon beeindruckte mit stillen, mit reichlich Soul ausgestatteten Liedern. Besonders schön: „State of Mind“ und „I Can See for Miles“ von The Who. Stolz präsentierte Midon auch sein im Herbst erscheinendes neues Album, darunter „Mi Amigo Cubano“, eine funkige Gemeinschaftsarbeit mit dem nur mehr selten musizierenden Bill Withers. (sam)

Das Sun Ra Arkestra spielt noch am 12.Juni im Wiener Porgy & Bess und am 13.6. im Jazzit in Salzburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2014)